Wanderfahrten sind bei uns in der Heliand-Pfadfinderschaft immer einzigartige Ereignisse. Sie bleiben wie kaum andere Veranstaltungen tief in den Erinnerungen der Teilnehmer verwurzelt und noch Jahre danach werden die lustigen, spannenden oder beeindruckenden Anekdoten beim Lagerfeuer zum Besten gegeben.
Und das obwohl die Entbehrungen teilweise schier unmögliche Hindernisse darzustellen scheinen. Ob es der bis zu 20kg Rucksack auf dem Rücken ist, oder die Hürden, die uns Mutter Natur in den Weg legt, sei es Wind, Regen, Sonne, oder ein umgestürzter Baum, der mitten auf dem Wanderweg ein Durchkommen unmöglich macht, man könnte auf Fahrt immer eine Ausrede finden, nicht weiterzugehen.
Doch am Ende laufen alle, ob groß oder klein, ob stärker oder schwächer, ob jung oder alt, die gesamte Strecke mit und haben dabei noch einen Spaß, den man in kaum anderen Situationen empfinden kann.
Dieses Jahr ging es für die Pfadfinder aus dem Stamm I der Heliand-Pfadfinderschaft aus den Frankfurter Stadtteilen Seckbach und Bornheim für vier Tage an den Neckar. Ziel war es, von Burg zu Burg zu laufen und im besten Falle auch auf denselben zu übernachten.
Mitnehmen muss man alles, was man braucht: Nahrungsmittel, ein (Zelt-)Dach über dem Kopf und ein bisschen Kleidung. All das auf dem Rücken mit Tagesetappen von bis zu 7km – der Muskelkater danach ist für manch Smartphonekind Programm!
Wir fuhren mit Bus und Bahn vom Stammesheim in Seckbach aus nach Neckarsteinach, dann gab es nur einen kleinen Marsch über 1,5km zur ersten Burg, der Hinterburg. Nachdem wir dort eine Nacht verbracht hatten und am nächsten Tag bereit waren, zum nächsten Ziel in etwa 6km aufzubrechen, regnete es stellenweise, was natürlich nicht den angenehmsten Weg bescherte. Der ursprüngliche Plan an jenem Tag war, mit einem Frachtschiff auf dem Neckar mitzutrampen. Dieses Konzept, obwohl nicht mehr allzu weit verbreitet, hat sich doch schon auf einigen anderen vorherigen Fahrten erprobt. Wir hatten aber Pech und es würde die nächsten 5 Stunden kein Schiff in die richtige Richtung fahren und selbst dann wäre nicht gewiss, ob uns eines danach mitnehmen wolle. Zudem hätte uns der Schneeregen wahrscheinlich auf Deck ans Deck fest gefroren.
Trotz diesem herben Rückschlag sind wir ohne Beschwerde weitergelaufen, und das in einer Gruppe von auch jüngeren, die normalerweise sehr leicht aus der Bahn geworfen werden und schnell mal „Alles blöd“ finden. Das ist aber meiner Meinung nach der Geist einer Fahrt:
Man kann so viel schaffen wie man sich vornimmt, inklusive aller Hindernisse, solange man sich in der starken Gemeinschaft bewegt, in der Probleme durch die Vielfalt und Diversität der Individuen bewältigt werden. Jeder trägt also bei, dass ein solches Ereignis so funktioniert, wie es soll.
Wir erreichten also am Nachmittag Stolzeneck, eine eher abgelegene aber sehr schöne Burg. Doch wieder scheint unser Glück uns verlassen zu haben, denn der Vorhof der Burg war zwar frei, doch das Hauptgebäude inklusive Bergfried war von der Behörde aufgrund von Steinschlaggefahr geschlossen worden. So machten wir das Beste daraus und nutzten den Burghof, wo wir den Luxus von fließendem, eiskalten Wasser aus einem Quellbrunnen genießen konnten.
Wir nutzen auf unseren Veranstaltungen traditionell bündische Zelte, die aber in vielerlei Hinsicht neuen Zelten überlegen sind. Sie bestehen aus schwarzen Baumwollbahnen, die man entweder mit Schlaufen oder Doppelknöpfen zusammensetzt. Diese Zelte (Kothen und Jurten genannt) reparieren wir selbst, was mit vielen neueren Zelttypen kaum so gut möglich wäre. Hinzu kommt, dass sie sehr Wasserdicht sind und durch ihre tipiähnliche Form auch eine Feuerstelle im Inneren zulassen. Wenn es aber über Nacht geregnet hat, werden sie nass und müssen erst trocknen, bevor man sie wieder im Rucksack, zusammengefaltet natürlich, verstauen kann.
So regnete es auch diese Nacht und wir mussten am nächsten Tag erst warten, bevor es Richtung Minneburg, unserem letzten Ziel, weitergehen konnte.
Der Regen vom letzten Tag wich dem optimalen Fahrtenwetter, kein Regen, Sonnenschein, aber nicht so viel, dass man übermäßig schwitzen muss und angenehme Lufttemperatur. So kamen wir recht bald auf der 7km entfernten Minneburg an, auf der wir zur allgemeinen Enttäuschung von einem weiteren Zugangsverbotschild begrüßt wurden, deshalb mussten wir den Schlafplatz und die Kochstelle nach außen hin verlegen. Von außen konnte man sehnsüchtig die, abgesehen von dem offensichtlich einsturzgefährdeten Turm, gut erhaltenen Wall- und Bergfriedanlagen sehen. Was hätten wir da für aufregende Spiele spielen können zwischen den altehrwürdigen und mystischen Mauern! Die Kreativität der Jungs zumindest spielte auf Hochtouren und so begnügten wir uns mit fetzigen Runden Live-Strategos in dem Wald nebenan. Der Abreisetag ist immer von gemischten Gefühlen begleitet, weil sich einerseits alle nach dem Luxus einer beheizten Wohnung und anderen Dingen sehnen, die man vorher gar nicht mehr wertgeschätzt hatte, wie zum Beispiel ein vollkommen normales Klo mit Sitz. Anderseits will doch keiner so richtig gehen. Das Gefühl der Gemeinschaft wird von Tag zu Tag auf Fahrt stärker und so wächst auch der Spaß. Gruppenstundenbekanntschaften wachsen zu wahren Freundschaften, Erkenntnisse zu Wissen und Erlebnisse zu Erfahrungen. Doch man kann sich ja damit trösten, dass es bei uns noch viele, viele Fahrten geben wird, die uns in noch schönere Gegenden führen.